Jonathan Fischer
Vater des Ethio-Jazz: Eine Begegnung mit dem großen äthiopischen Musiker Mulatu Astatke
Copyright, Jonathan Fischer
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.
→ dieser Artikel auf der Website der African Times
Äthiopien sei nicht nur Hunger und Krieg, sagt Mulatu Astatke. Der Avantgardist aus Addis Abeba verschmolz westlichen Jazz, Latin Percussion und äthiopischen Folk, schuf einen ganz eigenen Stil und setzte sein Land auf den musikalischen Weltaltlas.
Mulatu Astatkes zweite Karriere fing mit dem Soundtrack eines Hollywood-Blockbusters an. Der amerikanische Regisseur Jim Jarmusch hatte bereits sechs Jahre lang Musik für seinen Film „Broken Flowers“ gesucht, als er ein Konzert des äthiopischen Musiker in New York besuchte. Er habe noch nie solche bittersüßen Klänge gehört, schwärmte der Filmemacher anschließend.
Die äthiopische Musik ließ Jarmusch nicht mehr los. Er arrangierte „Broken Flowers“ noch einmal um und ließ den Hauptdarsteller Bill Murray auf seiner Reise in die eigene amouröse Vergangenheit von der geheimnisvollen Melancholie des Ethio-Jazz tragen. Plötzlich war Astatke gefragt: Westliche Musikfans fragten nach seinen Platten, Veranstalter in Europa und Amerika luden ihn auf große Konzertbühnen ein.
„Nach 40 Jahren habe ich es endlich geschafft“, sagt Astatke und lächelt entspannt. „Die Welt schätzt den Wert und die Schönheit meiner Erfindung, des Ethio-Jazz. Und sieht in Äthiopien hoffentlich mehr als nur Krieg oder Hungersnot“.
Der weißhaarige Jazz-Veteran hält Audienz auf dem Sofa seiner Berliner Plattenfirma. Ein freundlicher, alter Mann mit geschliffenem Englisch. Um ihn herum seine jungen, schlampig gekleideten Bandmitglieder. Da wirkt der 68-jährige in seiner eleganten Kleidung und den polierten Lederschuhen manchmal wie ein Würdenträger, der sich in den Niederungen des Pop verirrt hat.
Die Kollaboration der englischen, psychedelischen Jazz-Combo „The Heliocentrics“ mit Astatke erhielt hervorragende Kritiken. Ihr Album „Information Inspiration“ modernisierte Astatkes 1960er Jahre-Fusion. Unterdessen entdecken immer mehr westliche Popstars und HipHop-Produzenten den Reiz des Ethio-Jazz.
„Ich bin für alles offen, solange die Grundlage Jazz ist“, erklärt der äthiopische Vibrafonist, Komponist und Arrangeur. Schließlich beruht Astatkes Ruf auf dem Mut zum Experiment. Legendär sein Treffen mit Duke Ellington, als dieser 1972 nach Addis Abeba kam und sich von Astatke äthiopische Musik in Jazz-Arrangements übersetzen ließ: „Er hörte mir gespannt zu“, erinnert sich Astatke. „Dann sagte er: ‚Mulatu, ich hatte nie gedacht, so etwas in Afrika anzutreffen“.
Dabei hatte Mulatu längst entdeckt, dass der Jazz und die afrikanische Musik viel gemeinsam hatten: Polyrhythmik waren hier wie dort bekannt. Und chromatisch erweiterte Skalen, wie sie Charlie Parker im Westen populär machte, hatte er auch bei den Darashis, einem Stamm aus Südäthiopien gefunden. Astatke sollte die beiden Musiktraditionen als Erster zusammenführen.
Als Jugendlicher wurde er Ende der 1950er Jahre zum Studium nach Wales geschickt. Seine Eltern wollten ihn zum Luftfahrtingenieur ausbilden lassen. Doch Astatke ging eigene Wege: Er studierte klassische Musik in London, interessierte sich für Jazz und zog nach Boston, wo er als erster afrikanischer Student am renommierten Berklee College Of Music aufgenommen wurde. Zunächst spielte er Piano, Keyboard und Trommeln. Dann bekehrte ihn der Vibrafonist Gary Burton, dessen fliegende Soli Astatke an die heimische Marimba erinnerten, zum Spiel mit den Klöppeln.
In New York formte Astatke das Ethiopian Quintet. Wie zeitgleich seine Kollegen Fela Kuti oder Hugh Masekela bereitete er afrikanische Musik für westliche Ohren auf, indem er Jazz, Latin Percussion und äthiopischen Folk kombinierte. In den späten 1960er Jahren entschied er sich zur Rückkehr nach Äthiopien: „Amerika hatte mich entscheidend geprägt“, sagt Astatke. „Doch nun wollte ich all das, was ich gelernt und geschaffen hatte in meine Heimat zurückbringen, und neue Konzepte von Beat, Kontrapunkt, Orchestrierung und Harmonie in die äthiopische Musik einführen“.
Also brachte Mulatu Jazz- und Funk-Rhythmen in das Nachtleben von Addis Abeba und rekrutierte dazu Musiker aus Polizei- und Militär-Kapellen. Ihre Tradition ging auf eine Initiative des äthiopischen Kaisers zurück: Haile Selassie hatte 1924 ein Orchester aus Armenien an seinen Hof kommen lassen, dessen Dirigent die äthiopische Nationalhymne komponierte und Musiker für Armee, Polizei und kaiserliche Garde trainierte. Nun aber war Tanzen statt Gleichschritt angesagt: „Swinging Addis“ hieß es zwischen 1969 und 1974.
Nach anfänglichem Widerstand übernahm die äthiopische Popmusik bereitwillig Mulatu Astatkes Innovationen und rüstete uralte Folk-Gesänge mit Bongos, Congas und amerikanischem Soul auf. Selbst das äthiopische Fernsehen übertrug die Konzerte der Jazzmusiker. Astatke betrieb nebenbei einen Klub und Radiosender, arrangierte für die populären Sänger Mahmoud Ahmed, Getachew Mekuria und Alemayehu Eshete, den „James Brown Äthiopiens“.
Im Westen indes nahm kaum jemand Notiz von seiner Musik. „Äthiopien war eben nie eine Kolonie“, erklärt Astatke mit einem gewissen Stolz. „In Mali oder dem Senegal etwa sorgten die Franzosen für weltweite Veröffentlichungen. Wir aber haben nicht die Verbindungen zum Westen wie andere afrikanische Länder.“ Als 1974 eine stalinistische Militärdiktatur die Macht in Addis Abeba übernahm, wurde es still um Mulatu Astatke. Eine Zeit, über die der alte Mann nicht gerne spricht.
Lieber schaut er nach vorne und erzählt von dem gerade veröffentlichten Album „Mulatu Steps Ahead“, auf dem der Vibraphonist vom Bostoner Either/Orchestra, britischen Jazzern und äthiopischen Folk-Musikern begleitet wird. Früher mußte Astatke gegen die Traditionalisten ankämpfen, heute wird er selbst zu ihnen gezählt.
Sein Lieblingsprojekt betreibt er gerade zusammen mit Wissenschaftlern des amerikanischen Massachusetts Institute of Technology: Die Modernisierung der Krar. Ziel ist es, das traditionelle ostafrikanische Saiten-Instrument serienreif zu machen. Weltweit wachse die Nachfrage nach dem Instrument: „In Zukunft“, sagt der Mann, der schon für den Kaiser von Abessinien spielte, „brauchen junge Musiker keine Gitarre mehr, um äthiopische Musik zu spielen“.
Jonathan Fischer
The father of Ethio-jazz: Meet the great Ethiopian musician Mulatu Astatke
Copyright, Times Media
Reproduced with kind permission.
→ this article on the website of The African Times
Ethiopia is more than just hunger and war, says Mulatu Astatke. The avant-garde musician from Addis Ababa fused Western jazz, Latin percussion and Ethiopian folk music, created his own unique style and put his country on the music world’s map.
Mulatu Astatke’s second career started with the soundtrack of a Hollywood blockbuster. American director Jim Jarmusch had already been searching for music for his film “Broken Flowers” for six years when he attended a concert by the Ethiopian musician. Afterwards the filmmaker raved he had never heard such bittersweet sounds.
From that moment on, Jarmusch was captivated by Ethiopian music. He re-arranged the 2005 film yet again and set lead actor Bill Murray on his journey into his amorous past, carried along by the mysterious melancholy of Ethio-jazz. Astatke was suddenly in demand: Western music fans requested his albums; concert promoters in Europe and the US invited him to major performances.
“After 40 years I’ve finally made it,” said Astatke with a relaxed smile. “The world appreciates the value and the beauty of my invention, Ethio-jazz. And hopefully sees more in Ethiopia than just war and famine.”
The white-haired jazz veteran holds forth from the sofa of his Berlin-based record company Strut. He is a friendly old man who speaks polished English, surrounded by his young, shabbily dressed band members. At times the elegant 68-year old wearing spit-shined leather shoes seems like a dignitary who has lost his way in the depths of pop music.
Astatke’s collaboration with the English, psychedelic jazz combo The Heliocentrics received excellent reviews. Their album “Information Inspiration Vol. 3” modernized Astatke’s 1960s fusion. In the meantime, an increasing number of western pop stars and hip-hop producers are discovering the allure of Ethio-jazz.
I am open to everything, as long as jazz is the foundation,” Astatke explained. And while he plays vibraphone, composes and arranges, ultimately his renown comes from his boldness with experimentation. Then there is Astatke’s legendary meeting with Duke Ellington when Duke came to Addis Ababa in 1972 to have Astatke transpose Ethiopian music into jazz arrangements. “He was eagerly listening to me,” Astatke recalled. “Then he said to me, ‘Mulatu, I never expected to find something like this in Africa.’”
Astatke had long before discovered that jazz and African music share many commonalities: polyrhythm was found in both, and chromatically extended scales, as Charlie Parker had popularized in the West, could be found with the Darashis, a tribe from southern Ethiopia. He was the first who united these two musical traditions.
As a teenager he was sent to Wales to study in the late 1950s. His parents wanted him to become an aeronautical engineer. But Astatke forged his own path. He studied classical music in London, took an interest in jazz and moved to Boston, where he became the first African student admitted to the Berklee College of Music. At first he played piano, keyboards and drums. But it was vibraphonist Gary Burton, whose flying solos reminded Astatke of the native marimba, who won him over to playing with mallets.
In New York City Astatke formed the Ethiopian Quintet. At the same time as his colleagues Fela Kuti and Hugh Masekela, he composed African music for western ears by combining jazz, Latin percussion and Ethiopian folk music. He decided to return to Ethiopia in the late 1960s. “America had decisively shaped me,” said Astatke. “But now I wanted to bring everything that I had learned and created back to my homeland, so that I could introduce new concepts of beat, counterpoint, orchestration and harmony into Ethiopian music.”
So Astatke brought jazz and funk rhythms to the nightlife of Addis Ababa and recruited musicians from police and military bands. Their traditions went back to an initiative of Ethiopian Emperor Haile Selassie: In 1924 he invited an orchestra from Armenia to his court. Its director composed the Ethiopian national anthem and trained musicians for the army, police and imperial guards. Only now the order of the day was dancing instead of lock step: Between 1969 and 1974 it was known as “Swinging Addis.”
After initial opposition Ethiopian pop music soon eagerly adopted Mulatu Astatke’s innovations and updated age-old folk songs with bongos, congas and American soul. Even Ethiopian television broadcast his concerts. On the side Astatke ran a club and a radio station, arranged music for the popular singers Mahmoud Ahmed, Getachew Mekuria and Alemayehu Eshete, known as the “James Brown” of Ethiopia.
Meanwhile in the West hardly anyone took notice of his music. “Ethiopia was never really a colony,” explained Astatke with a certain pride. “In, say, Mali or Senegal, the French took care of worldwide releases. But we did not have connections to the West like other African nations.” When a Stalinist military dictatorship took over power in Addis Ababa in 1974, things went quiet around Astatke. It is a time that the old man does not like to talk about.
He would much rather look forward and talks about the album he just released “Mulatu Steps Ahead,” on which he is accompanied by the vibraphonist from Boston’s Either/Orchestra, British jazzers and Ethiopian folk musicians. Previously Astatke had to struggle against the traditionalists. Today he himself is seen as one of them.
He is currently pursuing his pet project in cooperation with scientists from the Massachusetts Institute of Technology: The modernization of the krar. They hope to make this traditional East African stringed instrument ready for series production. Demand for the instrument is growing around the world. “In the future,” said the man who used to play for the Emperor of Abyssinia, “young musicians will no longer need a guitar in order to play Ethiopian music.”